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Félix Meier war schon mehrfacher Schweizer Amateurmeister, als den Verantwortlichen des Nationalkaders etwas auffiel: Niemand hatte ihm bisher die richtige Fussstellung gezeigt oder wie man einen der Grundschläge sauber ausführt. Der Junge trainierte sich weitgehend selbst. Inzwischen hat der Instinkt-Boxer eine professionelle Struktur um sich – und mit erst 21 Jahren grosse Perspektiven.
Text: Michele Coviello

An diesem sonnigen Morgen im November steht Félix Meier wie so oft vor einem langen Tag. Lang und kräftezehrend. Im Auto fährt er aus seiner Heimatstadt Lausanne los. 110 Kilometer später wird er im Athletiktraining an seine Leistungsgrenze gehen. Im Rope Fitnesszentrum in Bern arbeitet der Superweltergewichtler mit seinem Personal-Trainer an Ausdauer, Kraft und Explosivität. Doch dieses knallharte Training wird nicht der einzige Kraftakt des Tages bleiben. «Am Mittag esse und erhole ich mich, dann geht’s weiter.» Am Nachmittag steht die zweite Trainingseinheit an: Im legendären Berner Boxing Kings Gym bereitet sich Meier mit dem ehemaligen Profi Alain Chervet als Coach auf seine nächsten Kämpfe vor.
Fürs Boxen unterbricht der 20-Jährige vorerst seine Matura-Ausbildung. Dank Sponsoren und, weil er weiterhin bei seiner Mutter wohnen darf, ist ein Leben als Vollprofi möglich. Sein Alltag ist sinnbildlich für den Beginn einer Profikarriere: Bescheiden bleiben und sich jeden Tag durchschlagen.
Wenn er über seinen Werdegang spricht, tut es Meier aber, als wäre es das Selbstverständlichste. Er bezeichnet sich als «extremen Menschen». Schaut man ihm ausserhalb des Rings zu und hört man ihn reden, mag man diese Aussage kaum nachvollziehen. Meiers Stimme klingt stets etwas gedämpft. Als Sohn einer Deutschen spricht er die Sprache seiner Mutter perfekt – mit weichem französischen Einschlag aufgrund seiner Kindheit in der Romandie.
Aber hinter der sanftmütigen Fassade steckt ein fokussierter und harter Boxer. «Wenn ich etwas gerne mag, dann gebe ich alles. Auch wenn ich müde bin: Ich mache immer weiter.» Es ist auch dieser Ehrgeiz, der Meier zu einem der vielversprechendsten Schweizer Talente macht.
Christina Nigg war Chefin der Abteilung Leistungssport beim Schweizer Boxverband und stellvertretende Nationaltrainerin. Ihr fiel Meier an Nachwuchswettkämpfen auf. «Er stach sofort ins Auge», erinnert sie sich. Deshalb bot sie ihn als 16-Jährigen in die Auswahl auf. Damals hatte er bereits mehrere Landestitel gewonnen. Während 1:1-Trainings an den Pratzen fiel Nigg aber etwas auf: Die Stellung der Füsse stimmte nicht. Auch die Grundschläge führte er nicht korrekt aus. «Die Basics fehlten.»
Im Gespräch mit Meier und seiner Mutter habe Nigg dann gemerkt: Der Junge hatte sich weitgehend selbst trainiert, zum Teil mit YouTube-Videos. Und war trotzdem sehr erfolgreich. Für Nigg wurde umso klarer: «Félix ist ein absoluter Instinkt-Boxer.» Dass ihm technisch-taktische Skills fehlten, sei in den Kämpfen nie aufgefallen, erschwerte aber das Coaching. Dafür habe er ein gutes Gefühl für die richtige Distanz zum Gegner gezeigt. Und er spüre, wann und wo er ihn treffen kann. «Das ist eine Eigenschaft, die man nicht lernen kann. Man hat sie, oder nicht.»
Um ihn auf internationalem Niveau fördern und führen zu können, musste Nigg ihm das ABC dennoch beibringen. Sie stellte eine Dokumentation eigens für seine Bedürfnisse zusammen, übersetzte sie auf Französisch und gab sie ihm mit. Sie standen vor einer der schwierigsten Aufgaben: falsch antrainierte Muster zu ändern. «Es war, als wenn man ein Computerprogramm komplett überschreiben muss», sagt Nigg. Es brauche 5000 bis 6000 perfekte Wiederholungen einer Bewegung, bis sie vollständig sitze.
Doch Félix Meier folgte ihr auf diesem Weg. «Er ist ein Traum für jeden, der mit ihm arbeitet», sagt Nigg. Er sei ein Perfektionist – einer, der nach einem Kampf gleich wieder ins Training einsteigen wolle und man manchmal auch bremsen müsse.
Dieser unbändige Wille führte vor gut drei Jahren zu einem Karriereknick. Der damals 17-Jährige wollte sich für die Olympischen Spiele von 2024 in Paris qualifizieren. Weil Meiers Gewichtsklasse aus dem Programm gestrichen wurde, versuchte er sich mit einem Verlust von acht Kilogramm in die nächsttiefere zu zwängen. Das führte zu gesundheitlichen Problemen und der Einsicht, dass er im Amateurboxen keine Zukunft mehr haben würde.
Es war eine Phase der Neuorientierung. Er arbeitete in einem McDonald’s, als Security-Angestellter und auf der Baustelle. Als er genug Geld beisammen hatte, flog er in die USA, nach Philadelphia, New York, Los Angeles, Las Vegas, San Diego. «Überall habe ich versucht zu boxen, ich machte so viele Sparrings wie möglich.»
Dahinter steckte die Idee zu einem neuen Lebensentwurf: ins Lager der Berufsboxer umzusiedeln. «Ich wollte mich mit den dortigen Profis messen und sehen, wo ich stehe.» Es stellte sich heraus, dass er schon ganz gut mithalten konnte.
Also griff er zum Telefon und kontaktierte seinen heutigen Manager Leander Strupler. Mit dem Berner Promoter stand er seit Längerem in Kontakt. Gemeinsam unterzeichneten sie einen ersten Vertrag – mit grossen Perspektiven, wie Strupler sagt: «Meine Vision ist, dass Félix in der Schweiz ein Boxsuperstar wird.»
Nicht nur wegen der boxerischen Qualitäten. Strupler streicht auch die menschlichen Vorzüge hervor, das stabile Umfeld. Mit ihm möchte der Manager vielleicht sogar das Boxen in der Schweiz verändern und ein «Role Model» entwickeln. Meier solle zeigen, dass es hier möglich ist, eine Profikarriere aufzubauen.
Der Anfang ist vielversprechend. Nach fünf Kämpfen ist Meier ungeschlagen und siegte viermal durch K. o. Im Juni musste ein Fight in Ulm kurzfristig abgesagt werden. Meier hatte im Sparring einen Schlag aufs Ohr bekommen und sich am Trommelfell verletzt. Bis Ende Jahr folgen jetzt noch zwei Kämpfe, am 25. November in Genf und am 26. Dezember am Boxing Day in Bern. Ein intensives Programm für den Lausanner. «Ich muss immer bereit sein», sagt er.