Als kleiner Bub saugte Angelo Peña in der Dominikanischen Republik die ersten Geheimnisse des Boxens auf. In Bern begann dieser Rohdiamant als Superfedergewicht zu glänzen. Und nun schleift ihn die Trainerlegende Ismael Salas in Las Vegas zu einem möglichen Weltmeisterkandidaten. Angelo Peñas nächster Schritt in Richtung Spitze führt ihn nach Gümligen in die Mobiliar Arena – und zu einem weiteren Titelkampf.
Über Nevada brennt die Sonne unerbittlich. Es ist Juni. Im amerikanischen Gliedstaat zeigt das Thermometer mehr als vierzig Grad an – eigentlich eine feindliche Umgebung für jegliche Art von Bewegung.
Nicht für Angelo Peña. Drei Stunden lang hat er an diesem Morgen bereits im Boxgym am Jones Boulevard von Las Vegas geschwitzt: am Sandsack, bei der Pratzenarbeit, beim Sparring. Von 10 bis 13 Uhr, wie jeden Tag seit er hier angekommen ist. Für die Mittagspause macht er sich mit seinen zwei WG-Mitbewohnern und Gym-Kollegen auf den Heimweg. «Die Hitze und das Training powern uns aus», sagt Peña. Aber das scheint Nebensache zu sein. «Es ist genau das, was ich will.»
Man nennt sie Sin City, die Stadt der Sünde und des Vergnügens. Für Angelo Peña ist Las Vegas ein Ort der bedingungslosen Disziplin geworden. Zwei Monate lang bereitet er sich hier auf den nächsten Fight vor – einen Türöffner Richtung Weltspitze.
Mit neun Siegen in neun Profi-Kämpfen steht Peña im Weltranking des Superfedergewichts auf Platz 81. Im vergangenen Dezember hatte er den einstigen Europameister Sofiane Takoucht mit einem spektakulären Knock-out buchstäblich aus dem Ring geboxt und auf den Tisch der Kampfrichter befördert. Seit jenem Abend im Berner Kursaal ist Peña Halter des Continental-Gürtels der International Boxing Organization (IBO), einem kleineren Verband im Box-Universum.
Nun will er am 14. September 2024 mit einem Sieg in der Mobiliar Arena die Top 20 angreifen. In Gümligen wird es um einen kontinentalen Titel der WBO gehen. Sie zählt zu den vier bedeutendsten Boxverbänden. Und damit könnte Peña einem richtig grossen Kampf näherkommen.
Ein klarer Plan und der Kampf gegen Vorurteile in der Schweiz
Sein Ziel ist hochgesteckt und die Uhr tickt. In diesem Herbst wird der Berner mit Wurzeln in der Dominikanischen Republik 30-jährig. Meistens schwingt in seiner Stimme ein Lächeln mit. Aber jetzt kippt sie. Peña klingt eindringlich und entschlossen. «Ich habe keine Zeit zu vergeuden: In zwei Jahren will ich Weltmeister sein – ganz klar.»
Solche Aussagen werden in der Schweiz schnell mal als Überheblichkeit ausgelegt. Wer mit diesem Selbstbewusstsein gesegnet ist, hat es im Land der Neutralität und der direkten Demokratie schwer. Das musste selbst der Rekordtorschütze des Fussballnationalteams erleben. Als Alex Frei vor der EM 2008 offen vom Titel sprach, löste er weitum Befremden aus.
Heute sähe das nach den Exploits der Schweizer Fussballer anders aus. Aber im Boxen fehlt es an Vorbildern. Wieso sollte es ausgerechnet Peña als Erster aus der Schweiz an die Weltspitze schaffen? Peña reagiert gelassen auf seine Kritiker – und schlagfertig. Er verstehe, dass es Zweifler gebe. Natürlich habe es noch niemand aus der Schweiz zu einem Weltmeistertitel im Boxen geschafft: «Mich gibt es ja auch nur einmal.»
Was wie eine Pointe klingt, enthält eine gute Portion Wahrheit. Peña überraschte bisher mit einer Mischung aus Entertainment und boxerischer Klasse. Schnell durchschaut er seine Gegner, passt die Taktik ihren Eigenschaften an. Durch den Ring tänzelt er federleicht, und trotzdem ist sein Punch für seine Gewichtsklasse voller Wucht. Szenekenner bezeichnen ihn gleichsam als Showman wie ehrlichen «Büezer».
Tobias Drews ist für diverse Medien Box-Experte und hat mehrere Kämpfe Peñas live kommentiert. Genau diese Kombination fasziniert Drews. «Ich mag sein Talent, aber auch die Art, wie er das Publikum unterhält.» Viele Boxer hätten bloss die eine oder die andere Qualität. «Bei Peña scheint derzeit aber beides zusammenzukommen. Deshalb ist er ein Rohdiamant.»
Und nun wird dieses Juwel in Las Vegas geschliffen, in einem Gym, das ein weiterer Beleg für Peñas Perspektiven ist. Sein Trainingscamp ist die Boxing Academy von Ismael Antonio Salas – einer Trainerlegende.
Der 67-jährige Kubaner gewann mit seinen Kämpfern fünf Olympia-Goldmedaillen und coachte bisher 19 Profi-Weltmeister. Zwei von ihnen besiegten den philippinischen Superstar Manny Pacquiao in Titel-Fights: 1999 Boonsai Sangsurat und zuletzt 2021 Yordenis Ugas.
Wenn Peña in der Salas Boxing Academy seine Hände bandagiert, stehen neben ihm ehemalige Weltmeister wie Ugas, aber auch zahlreiche aktuelle. Im Gym trainieren gleichzeitig die Mittelgewichts-Champions Erislandy Lara (WBA) und Carlos Adames (WBC) oder die Superleichtgewichts-Titelhalter Alberto Puello (WBC) und Isaac Cruz (WBA).
Vor seiner Abreise entschied Peña, sich ab sofort vollständig von Salas Team betreuen zu lassen. Dies bedeutet das Ende seiner Zusammenarbeit mit Alain Chervet. „Die Entscheidung fiel mir unglaublich schwer, ich habe Alain viel zu verdanken. “, sagt Peña. Als „einen schmerzhaften Konflikt zwischen Loyalität und sportlicher Weiterentwicklung.“ beschreib Peñas Manager Leander Strupler den schwierigen Beschluss. Nach einer gemeinsamen Aussprache hätten sie sich einvernehmlich auf eine Trennung geeinigt. Am 14. September wird Peña nun von Henry Deleon aus Las Vegas betreut, der ihn bereits während der Vorbereitung in den USA begleitet hat.
Peña und sein Management müssen den Trainer, dessen Reise und Unterkunft sowie das Training in der renommierten Boxakademie in Las Vegas mit Hilfe von Sponsoren finanzieren. Dass ihn Salas im Gym aufnahm, hat aber mit einer anderen Währung zu tun: Talent.
Im vergangenen November stellte sich Peña während zwei Wochen bei Salas vor. «Ich musste mir am Anfang Respekt verdienen», sagt Peña. Wie ein Anfänger habe er sich gefühlt, sei andauernd korrigiert worden. «Bin ich wirklich so schlecht?», habe er sich gefragt.
Aber Peña zeigte sich lernbegierig. Er nahm Salas’ Kritik ernst, arbeitete Fehler abends im Hotel auf, setzte Verbesserungen um. Das überzeugte den Startrainer. Im Februar folgte ein zweites, kürzeres Camp. Nun weilt er erstmals länger bei Salas. Und Peña schwärmt von ihm: «Er kennt das Boxen in- und auswendig und achtet auf die kleinsten Details. Es ist ein Privileg, mit ihm zu arbeiten. Wir verstehen uns sofort.»
Zwischen zwei Kulturen und der Abschied von Chervet
Salas und Peña sprechen die gleiche Sprache – nicht nur, was das Boxen angeht. Mit seinem Aufenthalt in Las Vegas taucht der Berner und Dominikaner auch in eine Kultur ein, die ihm sehr nahesteht. Als kleiner Bub hatte er die ersten acht Jahre in seiner grossen Familie in der Karibik verbracht. Vater und Onkel waren Boxer. Angelo und sein Bruder folgten ihnen immer ins Gym – trainierten, kämpften mit. «Unser Vater weckte uns oft um 4 Uhr morgens, um joggen zu gehen.» Um jene Zeit waren die Strassen der Stadt noch verkehrsfrei und genug sicher fürs Lauftraining der Kinder. «Ich musste einfach Boxer werden – das stand geschrieben.»
Dieses Schicksal verfolgt er nun in Las Vegas, wo das Trainerteam sowie die Boxer mehrheitlich Latinos sind. Spanisch dominiert, geflochtenes Haar und glitzernde Halsketten fallen hier kaum auf – von grossen Zielen zu reden auch nicht. In der Schweiz könne Peña hingegen mit seiner Art anecken, sagt sein Manager Leander Strupler. Er befinde sich zwischen zwei Welten, werde nicht ganz als Schweizer anerkannt, auch wenn er den grössten Teil seines Lebens in Bern verbracht habe. «In den USA fühlt er sich daheim, sportlich und kulturell», so Strupler.
Für seinen Traum der grossen Boxkarriere hat Peña in diesem Frühjahr seinen Barista-Job im Starbucks am Berner Hirschengraben gekündigt. Sein Wecker klingelte jeweils um 3 Uhr. Denn vor Schichtbeginn um 6 Uhr spulte Peña zuerst sein Lauftraining ab. Den Nachmittag und den Abend verbrachte er im Boxing Kings im Liebefeld bei seinen Schweizer Trainern Alain Chervet und Gabor Vetö. Ein kräftezehrender Tanz zwischen Ring und Kaffeemaschine. Es gebe Momente, in denen man nicht trainieren wolle, sagt Peña. «Aber ich muss immer dranbleiben.» Er glaube an seine Arbeit.
Vor seiner Abreise nach Las Vegas entschied Peña, einen neuen Weg zu gehen und sich vollständig von Salas Team betreuen zu lassen. Dies bedeutet das Ende seiner Zusammenarbeit mit Alain Chervet. „Die Entscheidung fiel mir unglaublich schwer, ich habe Alain viel zu verdanken. “, sagt Peña. Als „einen schmerzhaften Konflikt zwischen Loyalität und sportlicher Weiterentwicklung.“ beschreibt Strupler den schwierigen Beschluss. Nach einer gemeinsamen Aussprache hätten sie sich einvernehmlich auf eine Trennung geeinigt. Henry Deleon aus Las Vegas betreut wird Peña bei kommenden Kampf betreuen.
In Las Vegas ist die Schinderei keineswegs geringer als in Bern, aber fokussierter. Nach der dreistündigen Morgeneinheit kochen sich die Profis in ihrer WG Reis und Poulet, legen sich für einen kurzen Schlaf hin. Um 17 Uhr sind sie zurück im Gym oder an einem Pool für eine weitere Trainingssession: Schwimmen, Krafttraining oder Joggen sind Teil des Abendprogramms, täglich von Montag bis Freitag. Samstags steigen alle Kämpfer der Boxing Academy auf die Berge rund um Las Vegas zu einem Ausdauerlauf. Geruht wird nur am Sonntag. Wenn Angelo Peña davon erzählt, klingt es, als möchte er nichts anderes mehr tun. «Hier gehöre ich hin», sagt er.
Text: Michele Coviello